„Power of the Dog“: Männliche Hysterie im Western

von Sebastian Milpetz

Benedict Cumberbatch in "Power of the Dog" (Bild: Screenshot Trailer/Netflix)
Benedict Cumberbatch in "Power of the Dog" (Bild: Screenshot Trailer/Netflix)

Benedict Cumberbatch als harter, hypermännlicher Rancher? Der Brite, der durch die Darstellung intellektueller bis snobistischer Figuren zum Star wurde („Sherlock“), wirkt als Hauptdarsteller des Spätwesterns „The Power of the Dog“ (jetzt auf Netflix) auf den ersten Blick fehlbesetzt. Schon alleine von seiner schmalen Statur her. Weiter weg von dem prototypischen Western-Darsteller John Wayne könnte ein Schauspieler kaum sein. Ein Brad Pitt oder ein Matthew McConaughey kommen einem als passende zeitgenössische Stars in den Sinn.

 

 

Cumberbatch muss sich ziemlich auf die Hinterbeine stellen, um als Tough Guy glaubwürdig zu wirken. Aber gerade diese Anstrengung entpuppt sich auf den zweiten Blick als die große Stärke des Films von Jane Campion („Das Piano“). Denn die Versuche von Cumberbatchs Figur Phil Burbank, dezidiert maskulin zu wirken, entlarven sich so als verzweifelte Konstruktion von Männlichkeit – und lässt rückblickend die „Kernigkeit“ von John Wayne und Konsorten als das erscheinen, was sie immer schon war. Nämlich eine Konstruktion. 

Als es noch "echte Männer" gab

Phil wirkt zunächst wie eine Karikatur der viel beschworenen, aber meist unscharf bleibenden Kategorien „toxischen“ Männlichkeit. Er macht sich über seinen dicklichen, also aus seiner Sicht verweichlichten Bruder George (Jesse Plemons) lustig. Er äfft im Saloon den jungen Kellner Peter (Kodi Smith-McPhee) für dessen unmännliche Sprechweise und Körperhaltung nach. Peters Mutter Rose (Kirsten Dunst), die George heiratet, begegnet er mit Misstrauen. Sie kann nur hinter dem Geld seines Bruders her sein. Phil ist stolz darauf, sich nicht zu waschen und eine Verletzung tut er als Kleinkram ab. Er schwärmt von der Vergangenheit – der Film spielt 1925, also deutlich nach der Zeit des sogenannten „Wilden Westens“ – als es noch „echte Männer“ (O-Ton Phil) gab, wie seinen Mentor Bronco Harry (was für ein Name!).

 

Von Anfang an zeigt Regisseurin Campion Phil aber auch als armes Würstchen, der vor allem Angst hat, die enge Bindung an seinen Bruder zu verlieren, mit dem er in einem Zimmer schläft. Die Bewunderung von Phil für seinen verstorbenen Mentor ist mehr als nur latent homosexuell: Er masturbiert im Fluss mit einem Halstuch von Bronco Harry. Dabei wird er vom jungen Peter erwischt, der bei Phil auch Zeitschriften mit Bildern nackter Männer findet.

 

Das Verhältnis zwischen Phil und Peter ist fast rührend. Nachdem der linkische Junge, eine Art früher Nerd, zunächst als das perfekte Opfer des Machos erscheint, versucht Phil ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Um aus ihm einen echten Mann zu machen, wie es offenbar Bronco Harry einst mit ihm selbst tat. Symbolisiert wird der Versuch des Knüpfens einer Verbindung durch ein ledernes Lasso, dass Phil für Peter flechtet. Eine putzige Geste, die weniger wie ein homoerotischer Annäherungsversuch wirkt als vielmehr wie der Versuch, eine Vaterrolle zu übernehmen. Doch zu einer echten Annäherung wird es nicht kommen…

 

Nicht nur durch die bei aller Fehlbesetzung großartige Darstellung von Cumberbatch, sondern auch durch die schwül dräuende Regie von Jane Campion wird „Power of the Dog“ zu einer brillanten historischen Studie männlicher Hysterie und der Performance von Maskulinität. Auch wenn bei der Charakterisierung von Phil manchmal etwas zu dick aufgetragen wird. Die Masturbationsszene hätte es zum Beispiel nicht gebraucht, um seine Verwirrung sichtbar zu machen. Was den Film aber wirklich bedeutend macht: Wir bekommen durch Campions subtile Regie und Cumberbatchs leicht überdrehtes Spiel Mitleid mit dem verunsicherten Phil hinter der toxischen Verkleidung.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0