Kurze Geschichte der Männerbilder im Film

von Sebastian Milpetz

Film ist ein „Spiegel der bestehenden Gesellschaft“ schrieb einst Siegfried Kracauer, der Urvater der ideologiekritischen Filmwissenschaft. Politisch begrüßte Rollenbilder werden unterschwellig zu attraktiven Filmfiguren konzentriert, die auf der Leinwand als natürlich, selbstverständlich und nachahmenswert dargestellt werden, auch und gerade wenn die Helden „bigger than life“ sind.

 

Anders als damals Kracauer geht man heute nicht mehr davon aus, dass das Kino die Welt einfach nach einem naiven Ursache-Wirkung-Prinzip spiegelt. Vielmehr bündelt  und verkörpert er buchstäblich (Geschlechter-)Bilder, die in Gesellschaft und Politik kursieren. Er zeigt, was in der jeweiligen Gegenwart denk- und zeigbar ist und verbreitet sowohl hegemoniale Bilder und Konzepte von Männlichkeit als auch abweichende Männlichkeiten. Damit beeinflusst er die Körper der Zuschauer und lässt neue Formen von Männlichkeit entstehen, die dann wiederum Eingang in den Film finden.

 

Obwohl natürlich jeder Filmmann anders ist, gibt es doch Idealbilder, die sich zwar dem jeweiligen Zeitgeist anpassen (und diesen gleichzeitig prägen), aber bemerkenswert stabil bleiben – zumindest im massenwirksamen Hollywood-Film, der uns wegen seinem weltweiten Einfluss hier interessiert. Nur ganz bestimmte männliche Role Models qualifizieren sich hier für eine Hauptrolle in einem großen Film.

 

Ein notwendig verkürzter Ritt durch mehr als hundert Jahre Männer im Film.  

Phase 1: Säbelschwinger und schweigende Helden

Von den Stummfilmhelden Douglas Fairbanks, Errol Flynn (Bild) und Rudolph Valentino bis zu Rhett Butler (Clark Gable) in „Vom Winde verweht“ (1939) blieb das ideale Männerbild, das Hollywood in seinen Filmen entwarf, relativ konstant. Der galante Held und Haudegen (auf Englisch „Swashbuckler“, Säbelschwinger) unfehlbarer Abenteurer und selbstbewusste Verführer. Ihr Spiegelbild sind die Trickster-Figuren der Slapstick-Komödie Charlie Chaplin oder Buster Keaton, die sich genauso traumwandlerisch sicher durch die Welt bewegen wie die Swashbuckler. Obwohl sie seltsam asexuell wirken und optisch nicht unbedingt dem virilen Idealbild entsprechen bekommen sie stets die schönsten Frauen.

 

Verwandt mit dem Swashbuckler ist der Westernheld, der allerdings statt dessen optimistischem Strahlen ein cooles Pokerface zur Schau stellt. Seine Erben sind, mit einigen zeitbedingten Modifikationen, die Actionhelden von Steve McQueen über Arnold Schwarzenegger bis Dwayne Johnson. Durch Dauerquasseln qualifizieren sich Figuren höchstens für negative oder lächerliche Nebenrollen. Echte Männer schweigen und handeln im Film. Bis heute.

 

 

Eine Ausnahme im klassischen Hollywood stellen die männlichen Figuren in den Screwball-Comedies der 30er- und frühen 40er-Jahre dar. Meistens weltfremde, zerstreute Gelehrte, sind sie ihren  wortgewaltigen weiblichen Widerparts deutlich unterlegen. Dennoch werden sie von Darstellern verkörpert (Cary Grant, Henry Fonda), die optisch dem Männlichkeitsideal Hollywoods entsprechen.   

Phase 2: Film Noir und Rebellen ohne Grund

Mit dem Film Noir kommt es zum ersten Mal im größeren Stil zu einem Riss in der Darstellung von Männlichkeit. Auch in den pessimistischen Krimidramen dieser Stilrichtung gibt es natürlich positive, tatkräftige Helden als Hauptfiguren, zum Beispiel die oft von Humphrey Bogart verkörperten „Hard-Boiled“-Privatdetektive. Zynisch, im Kern aber integer, hinter der hartgesottenen Fassade verbergen sich (verletzte) Gefühle. Ansonsten sind die Protagonisten aber schwache Männer, die berechnenden Femme Fatales hilflos ausgeliefert sind („Besessenheit“, „Frau ohne Gewissen“). Die Noir-Fantasien wurden als Reaktion auf die Ängste vor den Frauen gedeutet, die während der Abwesenheit der Männer im Zweiten Weltkrieg unabhängiger wurden.

 

In den 1950er-Jahren revolutionierte dann eine Reihe von Darstellern die Schauspielerei und die Repräsentation von Männlichkeit im Film: Marlon Brando (Bild), James Dean und Montgomery Clift. Diese erste Generation der „Method Actor“ lieferte nicht mehr wie die Stars des alten Hollywood mit durchgedrückter Brust und strahlendem Blick ihre Texte ab, sondern nuschelte und stottere wie im wahren Leben. Sie verkörperten junge, verwirrte Männer, die auch mal Gefühle zeigen durften. „Rebellen ohne Grund“, wie der Originaltitel von James Deans „denn sie wissen nicht, was sie tun“ lautet, die unbewusst gegen den Materialismus der Nachkriegszeit opponierten.  Sexsymbole waren sie trotzdem (oder gerade deswegen), Marlon Brandos Stanley Kowalski in „Endstation Sehnsucht“ verkörperte im Unterhemd (Skandal!) aggressivere Sexualität.

 

Auch in den Western bekam der aufrechte Held erste Risse. Der stets ultramaskulin inszenierte John Wayne spielte in „Der schwarze Falke“ keinen unbestechlichen Westerner, sondern einen fanatischen Indianerhasser. Erst mit der James-Bond-Reihe (ab 1962) kam wieder ein ungetrübter Macho, hedonistisch und  frauenfeindlich, zu höchsten popkulturellen Weihen. 

Phase 3: New Hollywood und neue Helden

Ende der 1960er-Jahre lag das klassische Hollywood finanziell und künstlerisch am Boden, die alten Stars waren tot oder zu alt  Auf den Ruinen des alten Studiosystems öffnete sich ein schmales Zeitfenster, in dem alles möglich war: New Hollywood. „Bonnie and Clyde“ und „Die Reifeprüfung“ eröffneten 1967 einen Zirkel von Filmen, die nicht mehr in Traumwelten entführen wollten, sondern den von Generationenkonflikten und Vietnamkrieg verunsicherten Zeitgeist abbildeten. An die Stelle der starken Männer, die genau wussten was sie wollen und wie sie es bekommen, traten grübelnde, ziellose Außenseiter wie Jack Nicholsons Figur in „Five Easy Pieces“. Denkbar unglamouröse Schauspieler wie Dustin Hoffman, Robert De Niro oder Gene Hackman, die im klassischen Studiosystem höchstens Nebenrollen als Charakterdarsteller bekommen hätten, wurden alleine aufgrund ihres Talents zu Stars.

 

Innerhalb von New Hollywood erwuchs dann aber eine Bewegung, die sich den klassischen Genres der Goldenen Ära zuwandten und damit auch ein Stück weit deren (Geschlechter-)  Ideologie restaurierten: „Der Pate“, „Der weiße Hai“ und „Star Wars“. In Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ ist nicht der kernige alte Seebär (Robert Shaw), ein Relikt des alten Hollywood, der Held, sondern ein wasserscheuer Polizist (Roy Scheider) und ein scheinbar verweichlichter Wissenschaftler (Richard Dreyfuss). Trotzdem gilt auch hier: Die Antihelden müssen sich ihren Ängsten stellen, um erst dann „echte Männer“ zu werden. Für den großen Filmkritiker Georg Seeßlen, einer der letzten Ideologiekritiker in Nachfolge Kracauers, sind die Protagonisten aus „Der weiße Hai“ „Modelle der verletzten amerikanischen Männlichkeit“.

Phase 4: Hard Bodies und Han Solo

Parallel zum Amtsantritt des ehemaligen Western-Darstellers und neoliberalen Hardliners Ronald Reagan als US-Präsident legten sich die Männer im Genrekino der 1980er-Jahre einen Körperpanzer zu. Stilbildend natürlich: Die beiden „Hard Bodies“ Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone die ironiefrei radikale Individualisten verkörpern, die lieber schießen als sprechen, außer wenn es sich um cool-zynische One-Liner handelt. Das berühmte Bild von Arnie in „Predator“ mit der doppelten Phallus-Kombination aus Zigarre und Wumme ist fast schon comichaft übersteigerte Hypermännlichkeit, die aber natürlich nicht selbstironisch verstanden werden darf.  Was oft vergessen wird: Sly Stallones sprichwörtlich gewordener Haudrauf „Rambo“ startete 1982 als traumatisierter Vietnamveteran und heimatloser Drifter im Geist des New Hollywood. Erst in den Fortsetzungen wurde er zu einem kalten Krieger, der stellvertretend das Vietnamtrauma überwindet, Amerika und seine Männer great again macht, genauso wie in den späteren Teilen von „Rocky“, der in den 70ern noch ein Underdog war. Anders als James Bond, der keinen Kratzer abbekam, müssen die neuen Helden der 80er richtig bluten, bevor sie zum letzten Schlag ausholen dürfen. 

 

Gerne vergessen in einer Aufzählung  der wiedergeborene starken Männer, zu denen auch noch Chuck Norris, Jean-Claude van Damme und Dolph Lundgren gehören, wird Harrison Ford. Als Han Solo in „Star Wars“ (der letzte Sargnagel des New Hollywood, der wieder eine klare Trennung in Schwarz und Weiß etablierte) und als Titelheld in „Indiana Jones“, beides Hommagen an das frühe Kino, spielt Ford Helden, die von den Swashbucklern des klassischen Hollywoods inspiriert sind. Vitale, gewissenlose Hedonisten, die sich die Frauen einfach nehmen können, weil sie wissen, dass die es trotz anfänglicher Zickigkeit doch auch wollen. 

Phase 5: Male-Paranoia und Neo-Noirs

Ende der 1980er-Jahre kommt es wieder zu einem Bruch. Festmachen kann man ihn gut an der Karriere von Michael Douglas. Mitte des Jahrzehnts noch Indiana-Jones-Klon in „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“, dann knallharter Vorzeige-Yuppie in „Wall Street“, spielte er anschließend vermehrt Männer, die Opfer von starken Frauen werden. 1987 als schwacher Familienvater, der von seinem  Seitensprung gestalkt wird in „Eine verhängnisvolle Affäre“, 1992 als schwanzgesteuerter Cop in „Basic Instinct“ und 1994 als von seiner Chefin sexuell belästigter Geschäftsmann in „Enthüllung“. Auch oder gerade weil Männer hier zum Opfer werden ist ein misogyner Unterton nicht zu überhören. In „Falling Down“ läuft er als geschiedener Spießbürger Amok – offenbar die die einzige Möglichlkeit, um noch Handlungsmacht zu zeigen.

 

 

Überhaupt fühlten sich ab den 1990er-Jahren die Männer offensichtlich von Frauen, die jetzt in der Dienstleistungsgesellschaft in allen Berufsfeldern durchstarteten, bedroht. Jedenfalls kam es zu einer Welle von Neo-Noirs mit Femme Fatales und überforderten Männern („Red Rock West“,„Bound“ „Die letzte Verführung“, „Lost Highway“).

Phase 6: Buddies und Kindsköpfe

Auch eine Reaktion auf die Gleichberechtigung: Männer ziehen sich in homosoziale Beziehungen zurück. „Nur 48 Stunden“ startete 1982 die Welle der Buddy Movies. Ungleiche Männer, meistens Cops, müssen sich zusammenraufen. Paradigmatisch ist das Polizistenpärchen in den „Lethal Weapon“-Filmen. Der gesetzte Familienvater Murtaugh (Danny Glover) und der risikobereite bis suizidale Riggs (Mel Gibson) werden nach anfänglichen Schwierigkeiten Freunde und retten sich so gegenseitig vor Selbstmord (Riggs) und Langeweile (Murtaugh). Frauen werden in diesen Filmen an den Rand gedrängt.

 

Späte Ableger der Buddies der 80- und 90er- Jahre sind im neuen Jahrtausend die Kindsköpfe aus den Filmen aus dem Umfeld von Produzent Judd Apatow (z.B. „Beim ersten Mal“). Unreife Mitdreißiger, die lieber mit ihren Kumpels rumhängen und kiffen (und wenn es ein Stoffbär ist wie in „Ted“) anstatt mit ihren stets als patenter (und attraktiver) dargestellten Freundinnen eine Familie zu gründen. 

 

Auch wenn es mittlerweile Standard ist, dass Actionhelden stets gebrochen daherkommen müssen: Der anhaltende Erfolg von Testosteronbolzen wie Vin Diesel und Jason Statham beweist eine Kontinuität von klassischen Männerbildern. Der größte Filmstar der Gegenwart, der Ex-Wrestler Dwayne „The Rock“ Johnson verbindet hingegen erfolgreich Hypermaskulinität mit Selbstironie und Familienfreundlichkeit. Das geht heute. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Fabio D. (Freitag, 25 September 2020 07:26)

    Das ist so gut erläutert und geschrieben, ich beobachte bei so vielen Männern genau solch ein Verhalten wie bei Filmfiguren... als hätten sie es sich abgeschaut. Wer unter Männer zu viel redet oder das Bedürfniss hat seine Gefühle zu offenbaren, gilt schnell als schwach.