Überpräsent statt abwesend: Neue Väter im Film

von Sebastian Milpetz

Kayla (Elsie Fisher) in "Eighth Grade" ist ihr Dad  Mark (Josh Hamilton) peinlich (Screenshot Trailer)
Kayla (Elsie Fisher) in "Eighth Grade" ist ihr Dad Mark (Josh Hamilton) peinlich (Screenshot Trailer)

„Außer dir hält das niemand für witzig“: Verzweifelt-genervt wehrt die 13-jährige Kayla (Elsie Fisher) die rührend unbeholfenen, quälend unlustigen Versuche ihres alleinerziehenden Vaters Mark (Josh Hamilton) ab, zu ihr Kontakt aufzunehmen. „Cringy“ würden Teenies in Kaylas Alter die verzweifelten Anläufe ihres Dads nennen, in Pseudo-Jugendsprache an ihre Welt anzudocken.   

 

Das Vater-Tochter-Verhältnis in der Coming-of-Age-Perle „Eight Grade“ (auf Netflix) ist exemplarisch für ein neues Bild von Vätern, wie es in der Popkultur gezeichnet wird. Nachdem jahrzehntelang Väter in Filmen und Serien oft als abwesend oder desinteressiert an ihren Kindern gezeigt wurde, liegt das Problem von Mark darin, dass er zu präsent sein will. Er beobachtet seine Tochter bei einem Treffen mit Freunden in der Shopping Mall oder platzt abends halbnackt in ihr Zimmer, während sie gerade an ihrem Handrücken das Küssen übt. Andere Beispiele sind die alleinerziehenden Väter in „Der Sex Pakt“, die verhindern wollen, dass ihre Töchter beim Abschlussball ihre Unschuld verlieren. 

Von der Schreckensgestalt zur Witzfigur

Jahrhundertelang war der Vater eine gefürchtete Figur, nun ist er nur noch eine Witzfigur („Dad Jokes“, „Epic Daddy Fail“). So skizzierte 2015 Till Raether in der ZEIT ein neues Vaterbild – das für ihn ohne Zweifel einen Fortschritt darstellt, da Väter durch die liebevolle Belustigung, die sie bei ihrer Familie auslösen, endlich nicht als Respektperson, sondern auf Augenhöhe wahrgenommen werden.

 

Noch bis vor gar nicht allzu langer Zeit, bis über die Jahrtausendwende hin, arbeiteten sich viele Filme an fragwürdigen Vaterfiguren ab, z.B. an Jason Robards als sterbendem Patriarchen in „Magnolia“ (1999) oder an Gene Hackman als egoistischem, gealterten Filou in „Die Royal Tenenbaums“ (2001). In (amerikanischen) Serien dominierte der desinteressierte bis überforderte Chaos-Dad, von Al Bundy bis Homer Simpson.

 

Doch seit ein paar Jahren sieht man kaum noch solche dysfunktionalen Väter in Kino und TV. Selbst in Horrorfilmen wird der mörderische, seine Kinder verschlingende Vater wie Jack Torrence (Jack Nicholson) in „Shining“ abgelöst. Jetzt sind es im Rahmen der kollektiven Ängste, die durch neue Familienverhältnisse und der „Regretting Motherhood“-Debatte entstanden sind, eher die Mütter, die das Leben der Kinder bedrohen („Der Babadook“, „Hereditary“). Hoffnungslos veraltet wirken auch Filme („About a Boy“) oder Serien („Baby Daddy“) über unreife Männer, die sich plötzlich um ein fremdes Kind kümmern müssen und so erst erwachsen werden. 

Das Vaterbild ist auch Klassenfrage

Typisch für die Gegenwart sind eher auf Augenhöhe mit den Kindern auftretende Väter wie Ethan Hawke in „Boyhood“ (2014), die trotz oder gerade wegen ihrer Unperfektheit eher als Kumpels denn als Autoritäten wahrgenommen werden.

 

Natürlich gibt es immer noch viele Filme, in der Väter ausschließlich durch Abwesenheit glänzen. Meist sind diese Filme im White-Trash-Milieu angesiedelt, z.B. in „The Florida Project“ oder „Hillbilly Elegy“, in denen überforderte Mütter ihre Kinder mehr schlecht als recht alleine durchbringen müssen. Der überpräsente Vater scheint eher ein Mittelklassenphänomen aus den amerikanischen Vorstädten zu sein.

 

Am anderen Ende der Klassenskala steht Professor Perlman (Michael Stuhlbarg) aus „Call Me by Your Name“ (2017). Der wohlhabende, weltoffene Archäologe lässt seinem Sohn Elio (Timothée Chalamet) im Italienurlaub genug Freiheit, mit seinem Studenten Oliver (Armie Hammer) anzubandeln. Als die Sommerliebe aber in die Brüche geht, ist er mit einem verständnisvollen, nicht-moralisierenden Gespräch zur Stelle.

 

Auch der Vater in „Eight Grade“ wächst am Ende über sich heraus. Bei einem Lagerfeuergespräch macht er seiner Tochter Mut, indem er ihr erzählt, dass er sie nie erziehen musste, weil sie von selber immer tapfer und selbstlos. Er bewundert eher die Tochter, als das er von ihr Respekt einfordert. Auch das ein neues Phänomen, das aber wohl eher auf die Mittelschicht beschränkt ist. 

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