Toxische Männlichkeit? Wir müssen aber auch übers Patriarchat reden!

von Markus Textor

Wer heute den Begriff „toxische Männlichkeit“ an der richtigen Stelle droppen kann, ist State of the Art. Das kann man nicht nur im woken Umfeld und in allen möglichen Social-Media-Kanälen, sondern mittlerweile auch im Feuilleton der großen Medien beobachten. Und das ist auch gut so, denn Männer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen, ist dringend notwendig. Aber an dieser Stelle muss auch kritisch gefragt werden, wie dienlich dieser Begriff ist, um tatsächlich etwas an den Verhältnissen zu ändern.

 

Im Missy Magazin gab es 2018 eine kleine Definition, was toxische Männlichkeit sein soll: „Das Konzept beschreibt eine in unserer Gesellschaft vorherrschende Vorstellung von Männlichkeit und umfasst das Verhalten, das Selbstbild und Beziehungskonzepte von Männern sowie kollektive männliche Strukturen. Männer sollen keine Schwäche zeigen, höchstens Wut, sie sollen hart sein, aggressiv und nicht zärtlich oder liebevoll, schon gar nicht miteinander“. Die Konsequenz daraus sei Gewalt unter Männern und gegen Nicht-Männer. 

 

Der Aussage, dass toxische Männlichkeit die „vorherrschende Vorstellung“ von Männlichkeit sei, ist unter Rückgriff auf die Theorie der Hegemonialen Männlichkeit nach Raewyn Connell leider nicht mehr bedingungslos zu halten. Anstatt Listen aufstellen, was genau Männlichkeit ist oder wie sie zu sein hat, um hegemonial zu sein, schreibt Connell, dass Männlichkeit, wenn sie vorherrschend, also hegemonial ist, wandlungsfähig sein muss, um in der Gesellschaft breite Akzeptanz zu genießen. Gewalt kann dabei prinzipiell eine Rolle spielen, muss sie aber nicht, denn der gewalttätige Typ Mann, der immer aggressiv ist und nur das Gefühl der Wut kennt, wird in modernen Gesellschaften mehr und mehr aufs Abstellgleis gestellt. 

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck

Hegemoniale männliche Typen in Deutschland sind heute bspw. Kai Pflaume, Robert Habeck oder Christian Drosten. Die sind weder gewalttätig noch entsprechen sie in irgendeiner Weise dem, was der Missy Magazin Autor zum Besten gibt. In dessen Artikel steht weiter: „Wer toxische Männlichkeit erlernt hat, lebt mit einem Mangel: Diese Personen haben meist kein gutes Verhältnis zu ihrem Körper, können ihre eigenen Grenzen ebenso wenig respektieren wie die anderer und haben Schwierigkeiten damit, Gefühle zuzulassen, zu zeigen und zu verarbeiten.“ Es ist schwer vorstellbar, dass Pflaumes, Habecks oder Drostens Kinder derart aufwachsen. Freilich gibt es aber Menschen, die so aufwachsen und es gibt auch Männer, die unabhängig von ihrem „Aufwachsen“ gewalttätig sind oder werden. Denn Sohn eines toxischen Mannes zu sein, hat nicht monokausal zur Folge, auch selbst ein toxischer Mann zu werden.  

Hegemoniale Männlichkeit muss nicht gewalttätig sein

Mit Gewalt beschäftigt sich auch Connell. Allerdings nicht so sehr mit dem Erlernen gewalttätigen Verhaltens, sondern eher damit, wie Dominanzverhältnisse soziologisch organisiert sind. Sie stellt fest, dass Gewalt in modernen Gesellschaften zwar Teil eines Unterdrückungssystems ist, dass Gewalt aber immer auch ein Indikator für die Mangelhaftigkeit desselben zu verstehen ist. Wenn Herrschaft hegemonial ist, braucht es kaum noch Gewalt, weil alle ja die Herrschaft akzeptieren. So gilt es als vollkommen normal, dass Kai Pflaume die großen Shows moderiert, Habeck eher Kanzler wird als Kollegin Baerbock und Drosten uns mit seinem Fachwissen durch die Pandemie mansplaint. Das alles ist hegemoniale Männlichkeit, also eine akzeptierte Dominanz der Männer über Nicht-Männer. Kurz: die moderne und transformierte Gestalt des Patriarchats.

 

Laut Connell passiert Gewalt in der Regel dort, wo eben diese Hegemonie bedroht wird. Männer wenden dann Gewalt an, wenn sie a) dadurch ihre „Männlichkeit“ wiederherstellen wollen oder b) wenn Sie sich dadurch ihre Dominanz sichern wollen. Und genau dies ist der springende Punkt: Es geht nämlich bei der Analyse von Männlichkeit nicht nur darum zu beschreiben, dass es angelerntes „toxisches“ Verhalten gibt, sondern es geht darum, wie Macht und Dominanz in der Gesellschaft verteilt sind.

  

Der Autor des Missy Magazin Artikels rät den Lesenden unter anderem, sich von der Netflix-Dokureihe „Queer Eye“ inspirieren zu lassen, bei der andere Verhaltensweisen von Männern vorgestellt werden. Darüber hinaus soll jeder Mann dann noch „erkennen, dass es so nicht weitergehen kann“ und gemeinsam mit anderen Männern, „Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen“. Dies ist gewiss ein guter Anfang und prinzipiell eine gute Herangehensweise für Männer, die sich selbst reflektieren und auf diesem Weg erste Veränderungen hervorbringen wollen. Doch um gesamtgesellschaftlich zu erkennen, dass es so nicht mehr weiter geht, braucht es ein bisschen mehr. Dass sich an patriarchalen Verhältnissen etwas ändert, wäre es nämlich auch angebracht, darüber zu sprechen, wie Dominanz in unserer Gesellschaft verteilt ist und wie diesem Verhältnis begegnet werden muss. Es genügt dann nicht mehr, ausschließlich zu skandalisieren, was wann und wie „toxisch“ ist, sondern, man muss auch verstehen, warum dieses Verhalten in dieser Form auftaucht und dass es mit patriarchalen Verhältnissen zusammenhängt. Denn dieses „toxische Verhalten“ ist genauso wenig nur einfach erlernt, als dass es ebenso leicht wieder verlernt werden könnte. Ganz im Gegenteil, es hängt mit einer komplexen gesellschaftlichen Realität zusammen, die es demnächst zu zerschlagen gilt, dem Patriarchat. 

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